Yoga und Ayurveda werden als verwandte Wissenschaften bezeichnet. Beide betrachten den Menschen als ein ganzheitliches System, das sowohl aus dichter Materie in Form des physischen Körpers besteht als auch aus subtilen Strukturen, die für das Auge unsichtbar sind, sich aber im Leben durchaus manifestieren. Der Schwerpunkt des Ayurveda liegt auf dem alltäglichen Leben, die Empfehlungen sind weniger asketisch als beim Yoga, und der Ansatz ist universell und für jeden zugänglich. Wie im Ayurveda gibt es auch im Yoga verschiedene Praktiken für die Arbeit mit dem Körper, unter anderem für dessen Reinigung (Shatkarma), aber der Schwerpunkt liegt auf der Arbeit mit dem Geist. Nicht jeder ist bereit, Yoga zu praktizieren. Das Handbuch, in dem der klassische Yoga-Weg beschrieben ist, wird Ashtanga-Yoga genannt; in den Sutren des Patanjali wird dieser Weg beschrieben.

Die Yoga-Sutras von Patanjali: Entstehungsgeschichte und Überblick

Das genaue Datum, wann die Yoga-Sutras von Patanjali entstanden, ist unbekannt, es wird angenommen, dass es zwischen 500 und 200 v. Chr. war. Als Autor der Sutras gilt der Yogi Patanjali, über den ebenfalls wenig bekannt ist. Klar ist aber, dass nur ein verwirklichter Praktiker ein solch umfassendes System von Wissen und praktischen Empfehlungen hatte weitergeben können. Sein Name, Patanjali, wird oft mit "der beim Beten in die Handflächen fiel" übersetzt. Aus diesem Grund gibt es die Legende, dass der Yogi Patanjali in Form einer Schlange vom Himmel fiel, weshalb er auf den meisten Bildern als Mann mit einem Schlangenschwanz anstelle von Beinen dargestellt wird.

Patanjalis Werk ist in Form von Sutras verfasst, einer im alten Indien üblichen Darstellungsform für verschiedene Wissenszweige. Sutras zeichnen sich durch Kürze, Klarheit und Prägnanz aus. Wörtlich übersetzt bedeutet Sutra "Faden", "Seil", d.h. "das, was bindet". Es bezieht sich auf die Verbindung zwischen dem Lehrer, der Lehre und dem Schüler. In der Vergangenheit wurde das Wissen mündlich weitergegeben, vom Lehrer zum Schüler. Heute ist es uns in Büchern zugänglich - das ist eine große Chance für unsere Selbstentwicklung und Selbstvervollkommnung.

Die Yoga-Sutras von Patanjali bestehen aus vier Kapiteln:

  1. Samadhipada ist das Kapitel über Samadhi, es beschreibt, was Yoga ist, welche Probleme auf dem Weg der Praxis auftreten und wie man mit ihnen umgehen kann.
  2. Sadhanapada ist das Kapitel über die Qualitäten, die erforderlich sind, um den unruhigen Geist in einen konzentrierten Zustand zu versetzen.
  3. Vibhutipada ist das Kapitel über die Fähigkeiten des Geistes, einen Zustand der Freiheit von allen Ablenkungen durch verschiedene Techniken zu erreichen.
  4. Kaivalyapada ist das Kapitel, das die Fähigkeiten einer Person beschreibt, die einen vollkommen reinen Geist besitzt.

Die Sutras von Patanjali sind ein unverzichtbares Buch für jeden, der den Weg des Yoga beschreiten möchte. Im Mittelpunkt steht wertvolles, fundiertes Wissen, das von einfachen Regeln für alltägliche Entscheidungen bis hin zu anspruchsvollen Achtsamkeitsübungen reicht. Die Yoga-Sutras sind beim ersten Lesen schwer zu verstehen, wenn sie ohne Erklärungen studiert werden, aber es gibt viele Ausgaben mit Kommentaren von Yogameistern. Diese Erklärungen helfen, zur Essenz vorzudringen und das Interesse am Yoga nicht zu verlieren.

Die acht Stufen des Yoga

Yoga nach Patanjali umfasst acht Stufen und jede Stufe ist wichtig und unabhängig voneinander. Die Beschreibung der Stufen beginnt in der Mitte des zweiten Kapitels und wird im dritten Kapitel fortgesetzt, wo die sechste, siebte und achte Stufe genauer beschrieben werden. Die ersten beiden sind mit Geboten in Religionen vergleichbar.

Die acht Stufen des Yoga sind der Übergang von äußeren Interaktionen zu einem subtilen Zustand der Selbstbeobachtung. Diese Reihenfolge der Stufen sollte nicht als strikte Abfolge von Übungen verstanden werden. Es ist notwendig, seinen eigenen, individuellen Weg zu gehen, der für jeden anders ist. Wenn der Praktizierende Fortschritte macht, entwickelt er sich in allen acht Teilbereichen des Yoga.

Patanjalis Yoga wird auch Ashtanga-Yoga ('ashta' bedeutet acht), achtgliedriges Yoga oder achtblättriges Yoga genannt.

Die acht Stufen nach Patanjali:

  1. Yama — restriktive Regeln, was man nicht tun sollte. Diese Handlungen sind unbedingt zu vermeiden. So zeigt sich unsere Einstellung zu unserer Umwelt, zu der Welt, die uns umgibt.

    Yama umfasst fünf Verbote:

    • Ahimsa — wörtlich "Gewaltlosigkeit", Nicht-Verletzung. Es bedeutet, rücksichtsvoll gegenüber allen Lebewesen zu sein, nicht nur gegenüber Menschen, man soll denjenigen helfen, die in Not sind, vor allem denjenigen, die unschuldig sind, sich in Schwierigkeiten befinden oder denen es schlechter geht als uns. Es lohnt sich nicht, bis zum Äußersten zu gehen und zu versuchen, die ganze Welt zu retten, vor allem dann nicht, wenn man nicht darum gebeten wurde. Aber in einer Situation, in der man mit einem Problem konfrontiert ist, sollte man sich, wann immer möglich, für Gewaltlosigkeit entscheiden. Das offensichtlichste Beispiel für Gewaltlosigkeit ist sich vegetarisch zu ernähren, es ist praktisch eine ethische Ernährungsform. Es ist auch wichtig sich bewusst zu sein, dass der Grundsatz der Gewaltlosigkeit auch auf sich selbst angewandt werden muss: sich richtig ernähren, sich rechtzeitig ausruhen, in einer angenehmen Umgebung sein usw.
    • Satya - Wahrhaftigkeit (nicht täuschen, nicht in die Irre führen). Im Allgemeinen geht es bei dieser Regel um ethische Kommunikation in Wort und Schrift, die sowohl Ehrlichkeit gegenüber anderen als auch gegenüber sich selbst beinhaltet.
    • Asteya - Nicht stehlen (nicht nehmen, was einem nicht gehört). Diese Empfehlung gilt sowohl auf der physischen Ebene als auch auf der Ebene des Geistes: es ist wichtig, nicht zu begehren, nicht neidisch zu sein, nicht habgierig zu sein.
    • Brahmacharya - Keuschheit, Enthaltsamkeit von übermäßigen Vergnügungen, Mäßigung, Bescheidenheit in allen Dingen. Die Sinnesorgane verursachen Vergnügen auf physischer Ebene, und hier ist es wichtig, diesen Prozess zu kontrollieren und die Sinne nicht falsch oder übermäßig zu beanspruchen.
    • Апариграха — Sich an nichts binden, an nichts hängen, Habgier vermeiden. Diese Regel beinhaltet das Nicht-Anhaften an etwas, die Fähigkeit, mit dem zufrieden zu sein, was man hat.
  2. Niyama - empfohlene Handlungen, eine Art individueller Disziplin, Selbstkontrolle.

    Niyama umfasst auch fünf Regeln:

    • Shaucha - Reinheit. Damit ist die Einhaltung der Reinheit auf physischer Ebene (Körper und Umgebung), sowie die Reinheit der Gedanken gemeint.
    • Santosha - Zufriedenheit. Die Fähigkeit, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, einschließlich der eigenen Umstände (sich nicht beschweren, sich nicht beklagen).
    • Tapasya - Askese. Selbstbeschränkung in Bezug auf Vergnügungen und Disziplin in der Praxis beseitigt Unreinheiten im Körper und führt zur Vervollkommnung von Körper und Sinnen.
    • Svadhyaya - Selbsterkenntnis, Selbstentfaltung, Selbstentwicklung; man studiert sich selbst, die eigenen Stärken und Schwächen, man verändert sich zum Positiven. Lesen heiliger Schriften.
    • Ihvara pranidhana - Hingabe, Ergebenheit gegenüber Gott, dem Absoluten. Gott verehren, alle seine Handlungen und Verdienste Gott widmen.

    Es ist wichtig Yama и Niyama auf allen drei Ebenen, auf der Ebene des Körpers, der Rede und des Geistes, einzuhalten.

  3. Asana — bequeme Körperhaltung. Heute wird Yoga in erster Linie mit Asanas als Körperübungen zur Erhaltung der Gesundheit, Flexibilität, Kraft und Ausdauer des Körpers in Verbindung gebracht. Die Yoga-Sutras definieren Asana als eine stabile und bequeme Position des Körpers, gerade für weiterführende, länger andauernde spirituelle Praktiken und die Arbeit mit den subtilen Strukturen des Körpers.
  4. Pranayama — Kontrolle des Pranas, der Atmung. Dabei werden verschiedene Atemtechniken angewendet, um die Energie zu intensivieren und zu kontrollieren. Pranayama beinhaltet auch den Wechsel von einer unbewussten zu einer bewussten Atmung.
  5. Pratyahara - Kontrolle über die Sinne. Ein Zustand, in dem der Praktizierende die Wahrnehmung von äußeren Objekten abkoppelt und die Sinne (Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, Tasten) ihn nicht mehr ablenken.
  6. Dharana — Konzentration. Der Zustand des Geistes, wenn er auf ein gewähltes Objekt gerichtet werden kann, trotz der Anwesenheit vieler anderer Objekte. Man kann sich auf verschiedeneObjekte konzentrieren: auf den Atem, auf den Klang einer Klangschale, auf eine Flamme, auf Bilder (z. Bsp. Ikonen), usw.
  7. Dhyana — Kontemplation, Meditation. Die anhaltende Konzentration (Dharana) auf ein Objekt geht in einen Zustand der Meditation über, in der die Bewegung des Geistes einen kontinuierlichen Fluss bildet, der nur auf den Gegenstand der Praxis gerichtet ist.
  8. Samadhi — Verschmelzung, Zusammenführung, Integration. Ein Zustand vollständiger Verschmelzung mit dem Objekt, ohne das Bewusstsein eines Selbst, eine Art Verlust der eigenen Persönlichkeit; das Erreichen eines Zustandes des Über-Bewusstseins.

Hat man Patanjalis Werk zum ersten Mal gelesen, kann man es noch nicht verstehen. Ein langes, sorgfältiges Studium des Textes und vor allem eine regelmäßige, sorgfältige Praxis werden Früchte tragen!

Literatur:

  1. Т. К. V. Desikachar. «Das Herz des Yoga.».
  2. «Die Yoga Sutras des Patanjali».
  3. T. K. V. Desikachar. «Über Freiheit und Meditation. Das Yoga Sutra des Patanjali. Eine Einführung» Petersberg 1997.