Heute, da Yoga ein Teil der Fitnessindustrie geworden ist, wurden viele Yoga-Techniken und -Praktiken aufgegeben und vergessen. Unter denjenigen, die an sogenannten „Gruppenprogrammen“ teilnehmen, findet man nur sehr schwer jemanden, der etwas über Shatkarmas oder Bandhas weiß. Wir haben es also mit einer Situation zu tun, in der ein ganzheitliches, unabhängiges System der körperlichen und geistigen Entwicklung auf Gymnastik reduziert wird.

Pranayamas sind da keine Ausnahme: Entweder sie werden nicht praktiziert, oder man bezeichnet sie einfach nur als Atemübungen. Nur wenige wissen, dass Pranayama nicht nur eine Atemtechnik ist, sondern eine eigene Stufe des Yoga, die in den Sutras von Patanjali beschrieben ist. Was ist Pranayama? Welche Arten dieser Praxis gibt es? Wie und wann man Pranayama übt und ob es auch von Anfängern praktiziert werden kann, wird in diesem Artikel besprochen.
Was Pranayama ist
Bevor man sich mit den Techniken des Pranayama beschäftigt, sollte man die Etymologie des Begriffs kennen. Pranayama bedeutet auf Sanskrit „das Anhalten (die Kontrolle) des Atems“. Techniken zur Steuerung der Lebensenergie (Prana) sind im Yoga seit Jahrhunderten bekannt. Ihre Beschreibung findet sich in Abhandlungen wie den Yoga-Sutras von Patanjali, der Bhagavat Gita, der Hatha-Yoga Pradipika und anderen.
In seinem Werk Yoga-Sutra, Kapitel 49, sagt Patanjali: „Nach der Ausführung von Asanas ist Pranayama das Anhalten der Einatmung und Ausatmung.“ Man denkt vielleicht, dass Pranayama nichts Kompliziertes ist: Man setzt sich in ein Asana und atmet nicht. Solch eine oberflächliche Betrachtungsweise wird den Techniken des Pranayama aber keinesfalls gerecht: Der berühmte Yogalehrer Satyananda Saraswati erklärt nämlich, dass Prana wie ein wilder Elefant ist und es schwierig ist, das Prana unter Kontrolle zu bringen, es erfordert jahrelange Übung. Saraswati stimmt mit den alten Abhandlungen überein und erklärt, dass Pranayama als eine Technik zur bewussten Kontrolle des Atems verstanden werden sollte.
Einer der größten Yoga-Siddhas, Gorakshanath, beschreibt Panayama folgendermaßen: "Pranayama ist der Ausgleich der Energie (Prana). Einatmen, ausatmen, das Anhalten des Atems und ihre Vereinigung sind die vier Merkmale von Pranayama".
Die Beherrschung von Asanas - einer stabilen Körperhaltung - ist sehr wichtig als Vorbereitung für die Pranayama-Praxis. Natürlich sind Atemtechniken in meditativen Asanas wie Padmasana (Lotus-Sitz), Ardha-padmasana (der halbe Lotus-Sitz), Swastikasana und Sidhasana am effektivsten. Aber man braucht sich keine Sorgen zu machen, wenn man diese anspruchsvollen Posen noch nicht ausführen kann.
Dann übt man Pranayama in einfacheren Asanas: in Sukhasana oder Vajrasana. Wenn man Schwierigkeiten hat, den Rücken gerade zu halten, übt man die genannten Haltungen, während man auf einem Stuhl mit einer hohen Rückenlehne sitzt. Das Wichtigste ist, den Rücken gerade zu halten, sonst kann die Energie nicht entlang der Sushumna (ein Kanal in der Wirbelsäule) aufsteigen, und alle Vorteile von Pranayama würden nicht erreicht werden.
Jede Atemtechnik besteht aus vier Schritten: das Einatmen (puraka), das Anhalten des Atems (kumbhaka), das Ausatmen (rechaka) und das Anhalten des Atems nach dem Ausatmen (shunyaka).
Verschiedene Arten von Pranayama
Bevor wir uns mit Pranayama für Anfänger befassen, wollen wir allgemeine Techniken beleuchten, die heutzutage bekannt sind. Der alte Quellentext „Gheranda-Samhita“ nennt folgende Arten von Pranayama: Sahita, Suryabheda, Ujjayi, Sitali, Bhastrika, Bramari, Murchha und Kevali Kumbaha, wobei die leichteste Technik zuerst genannt wird und die schwerste als letztes.
Kevala wird als die schwierigste der hier beschriebenen Praktiken angesehen, es ist das spontane Anhalten des Atems. Genau genommen ist das nicht ganz richtig: Shivananda beschreibt Kevala so, dass das Einatmen nicht mehr vom Ausatmen zu unterscheiden ist, so dass es sich anfühlt, als gäbe es gar keinen Atem.
Die folgenden, oben genannten Pranayamas werden universell angewandt und praktiziert: Sitali, Bramari, Bhastrika, Kapalabhati und Suryabheda.
Übt man regelmäßig Pranayama, können folgende Resultate erzielt werden:
- es wird einfacher sein, sich zu konzentrieren;
- das Nervengewebe wird sich regenerieren;
- Die Lernfähigkeit wird sich verbessern und es wird leichter sein, sich große Mengen an Informationen zu merken;
- der Verstand wird ruhiger sein;
- die Gesundheit wird sich verbessern, die Leistungsfähigkeit wird gesteigert, man wird häufiger gute Laune haben.
Pranayama lässt sich am besten im Freien oder in einem gut gelüfteten Raum üben, auch in Kombination mit Meditation und Hatha-Yoga. Interessante ist, dass der berühmte Hatha-Yoga-Lehrer Pattabhi Jois empfahl, den beim Pranayama entstehenden Schweiß nicht abzuwischen, sondern ihn in die Haut einzureiben. Ob man das tut oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Wie man Pranayama korrekt ausführt
Als Erstes muss der Raum vorbereitet werden: Er sollte gut gelüftet sein, nicht zu heiß und nicht zu feucht sein. Wenn möglich, übt man Pranayama früh am Morgen, bevor man sich mit den Sorgen des Alltags beschäftigt. Die Kleidung sollte leicht und bequem sein und die Bewegungsfreiheit nicht einschränken. Am besten man übt immer zur gleichen Zeit.
Es ist besser, jeden Tag 10 Minuten zu üben als einmal im Monat eine Stunde. Wenn man einen vollen Magen hat oder müde ist, sollte man das Üben verschieben. Wenn man abends praktiziert, legt man sich vorher ins Shavasana.
Es wurde bereits erwähnt, welche Asanas während des Pranayama verwendet werden sollten. Wenn man nicht im Lotus-Sitz oder im halben Lotus-Sitz sitzen kann, soll man sich nicht zu sehr anstrengen, sondern man kann auch im Sukhasana oder Vajrasana sitzen oder auf einem Stuhl praktizieren.
Wenn man Asthma oder Bluthochdruck hat, sollte man kein Pranayama machen. Einige Techniken wie Bhastrika und Suryabheda sollten nicht im Sommer ausgeführt werden, während Sitkari und Chandrabheda nicht im Winter geübt werden sollten. Denn wärmende Techniken im Sommer können dazu führen, dass man sich durch die Hitze noch schlechter fühlt, und kühlende Techniken im Winter können bewirken, dass man noch mehr friert. Wenn man unter Kurzatmigkeit oder anderen Atemproblemen leidet, muss man sich erst von einem Arzt beraten lassen, bevor man Atemübungen macht.
Als nächstes werden wir uns zwei der einfachsten Atemtechniken ansehen: die volle Yoga-Atmung und Anuloma Viloma. Um die volle Yoga-Atmung zu erlernen, setzt man sich in ein meditatives Asana und schließt die Augen. Man beginnt mit der Einatmung und der Bauch wird leicht gedehnt. Während man weiter einatmet, dehnt man den Brustkorb und die Schultern hebt man leicht an, bis sich auch die Schlüsselbeine leicht heben.
Die Ausatmung erfolgt in umgekehrter Reihenfolge: Zuerst werden die Schultern und Schlüsselbeine gesenkt, dann der Brustkorb und zuletzt der Bauch. Man versucht, fünf Sekunden lang einzuatmen, das Ausatmen sollte gleich lang wie das Einatmen sein. In der ersten Woche übt man diese Technik maximal fünf Minuten lang, in der zweiten Woche verlängert man sie um jeweils eine Minute, bis man die Gesamtdauer von zehn Minuten erreicht hat. Dann kann man zweimal pro Tag zehn Minuten lang üben.
Diese Art der Atmung hilft, Vitalität und Lebensenergie wiederherzustellen, die Immunität zu verbessern, den Blutdruck zu normalisieren und den Körper von Giftstoffen zu befreien. Als nächstes wird die Anuloma Viloma-Technik beschrieben. Wieder setzt man sich in ein meditatives Asana und atmet tief ein. Dann schließt man das rechte Nasenloch mit dem rechten Daumen und atmet durch das linke Nasenloch aus.
Daraufhin atmet man sofort durch das linke Nasenloch ein, schließt beide Nasenlöcher und hält den Atem an. Das rechte Nasenloch öffnet man dann und atmet durch dieses Nasenloch aus, danach atmet man durch das gleiche Nasenloch ein und hält den Atem wieder an. Das ist ein Zyklus. Man beginnt mit fünf Zyklen und steigert die Anzahl langsam auf 10-20. Man sollte darauf achten, dass die Ein- und Ausatmung tief, gleichmäßig und gleich lang ist.
Diese Übung ist eine unschätzbare Hilfe für das Herz und den Blutkreislauf. Durch regelmäßiges Üben von Anuloma kann man auch mentale Anspannung abbauen und Ängste loswerden. Man beginnt mit der Beherrschung der vollen Yoga-Atmung und übt dann zusätzlich Anuloma Viloma, wenn man dazu bereit ist. Man sollte versuchen, sich Zeit für regelmäßige Übungen zu nehmen und die morgendliche Ruhe zu nutzen.